Kommunikationsfluss im virtuellen Container

 Das Böhm-Handelszentrum – Kommunikationsfluss im virtuellen Container
Christiane Stahl, frame #1, DGPh Jahrbuch 2006

[…] Mit der Gründung des exklusiven Fotomagazins Frau Böhm, das seit 1999 etwa vier mal im Jahr in kleiner Auflage in Klarsichthülle verpackt erscheint und in dem sie ihre Arbeiten unter einem jeweils anderen übergreifenden Thema zeigen, haben die beiden vorgeführt, wie man die herkömmlichen Kommunikationsstrukturen des Kunstbetriebs durchbrechen kann. Frau Böhm, […] ermöglicht einen modernen, vom geläufigen Ausstellungs- und Publikationsbetrieb unterschiedenen Umgang mit der Fotografie. „Es gibt andere Medien um Fotografie zu transportieren. Wir sind unabhängig von (Ausstellungs-) Räumen. Eine Fotografie ist mehr als ein Objekt, das man an die Wand hängt“, so Sieber im Katalog der jüngsten Ausstellung The Böhm Project in Osaka.

Die Arbeiten der beiden Fotografen stellen eigenständige künstlerische Positionen dar. Aber mit jeder Ausgabe wird erneut deutlich, wie gut sich unterschiedliche Herangehensweisen an ein Thema kommentieren und ergänzen können, wie Anregungen aufgegriffen und weitergeführt werden können. Nach 6 Jahren Böhm und in logischer Fortsetzung ihres Konzepts wollten die beiden Künstler jedoch ihren Foto-Dialog noch weiter nach außen hin öffnen. Im Juni 2005 errichteten sie mit dem Böhm Handelszentrum im Internet einen virtuellen Ausstellungsraum, der nicht allein für die globale Verbreitung ihrer eigenen Arbeiten sorgt, sondern auch Künstlerkollegen eine Kommunikationsplattform bietet. Unterstützt wird dieses Projekt durch das Kulturamt der Stadt Düsseldorf.

Der Gedanke, den Austausch mit anderen Künstlern an einem Ort fortzuführen, der in Osaka genauso zugänglich ist wie in Toronto oder Düsseldorf, kam sicherlich auch dadurch zustande, dass Katja Stuke & Oliver Sieber durch Reisen oder artist-in-residence-Programme mittlerweile fast mehr unterwegs als zu Hause sind. Im Vergleich zur realen bietet eine virtuelle Ausstellungsfläche etliche Vorzüge: das Internet ermöglicht wenig arbeitsaufwändige und sehr flexible Ausstellungen, es ist für jeden Computerbesitzer zugänglich, es ist nicht gebunden an Zeit und Ort, es sorgt als Massenmedium für einen hohen Verbreitungsgrad, und es ist äußerst kommunikativ und aktuell, weil es eine schnelle Reaktion der Beteiligten erlaubt. Wobei die beiden Fotografen die virtuellen als „reale Räume“ verstanden wissen wollen. Und warum auch eine Unterscheidung machen zwischen realer und digitaler Wirklichkeit, wenn das digitale Abbild nur Platzhalter ist für einen „echten“ Print?

 

Das Böhm Handelszentrum ist in vier Containern untergebracht, die als Metapher für eine flexible, minimale und billige Architekturform stehen. Container sind universell verwendbar. Mit Containerschiffen werden weltweit Bananen oder Waffen transportiert, in Containern kann man wohnen, was aber meist nur Bauarbeitern oder Flüchtlingen zugemutet wird, und man kann in Containern Ausstellungen machen, die den Vorzug haben, dass sie genauso schnell wieder verschwinden können wie sie gekommen sind. Der Containerraum hat also an sich schon Qualitäten, die man der virtuellen Welt zuordnen kann: Container wie Internet erlauben ein örtlich und zeitlich ungebundenes Arbeiten, sind schnell auf- und abzubauen und kostengünstig. Dieser Vorteile bewusst, ließen die Veranstalter der Photo España 2005 in Madrid auf der Plaza de Santa Ana einen Container aufstellen, in dem Katja Stuke & Oliver Sieber Die Böhm # 25 produzierten und versandfertig machten, ihre Arbeit präsentierten, sich mit den Besuchern austauschten – und das Böhm Handelszentrum online schalteten. So fand die Eröffnung der virtuellen Container-Ausstellungsräume in einem realen Container-Ausstellungsraum statt.

Links treten wir ein in das Labor, wo wir in Ergänzung zu den in der aktuellen Böhm gezeigten Aufnahmen weitere Beispiele der jeweiligen Bildserien des Künstlerduos zu sehen bekommen. Die Bilder hängen an den Wänden und können per Mausklick vergrößert werden. Rechts führt der Eingang in das Gästezimmer, wo regelmäßig andere Künstler gezeigt werden. Der erste Gast war Hisako Nakagawa, die 2005 als artist-in-residence in Düsseldorf war. Ihre Tintenstrahldrucke auf Transparentpapier von verschwommenen Alltagsszenen beschwören den Moment des Aufwachens, wo Traum und Wirklichkeit ineinander gehen und wo Abstraktes in Konkretes übergeht. Sie sind Ausdruck der Kurzlebigkeit und Unsicherheit unserer Wahrnehmung.

Während hier wahrnehmungstheoretische Parallelen vor allem zu den Arbeiten von Katja Stuke auszumachen sind, zeigt die nächste fotografische Position von Frederik Busch mit der Serie Growing up klare Anknüpfungspunkte an Oliver Siebers Serien aus dem Bereich der Jugend- und Subkultur. Die dritte Ausstellung, Pat de Caros Incognito, durchbricht die Kontinuität des Fotografischen. Ihre zarten, schwarzweißen Ölzeichnungen auf Pauspapier von Kindern in einer Erwachsenenwelt, die von Gefühlen sexuellen Erwachens sprechen, suggerieren Momente der Verwundbarkeit und des Ausgeliefertseins.

Auch bei den nächsten beiden Ausstellungen besteht ein harter Kontrast zwischen Adam Etmanskis inszenierten Polaroids, die ähnlich zitathaft wie bei Katja Stukes Arbeit, aber auf anderer medialer Ebene gelagert Aspekte des Fotografischen hinterfragen, und Miles Collyers derzeitige Ausstellung Track Top Masks, die wiederum den Topos der Identifizierung mit Comic-Helden durch Verkleidung aufnimmt, wie er uns bei Oliver Siebers Character Thieves begegnet. Es wird deutlich, dass die Gastgeber den Dialog mit den Gästen als Bereicherung für das Verständnis ihrer eigenen Sichtweisen auffassen.

[…] Das Interesse an einem solchen Ausstellungsbetrieb ist ein anderes: Es geht nicht um Profit, sondern um einen Tauschhandel, das Zahlungsmittel ist nicht Geld, sondern Kommunikation. Das Ganze ist gedacht, wie der Name schon sagt, als Labor, als ein Raum für Experimente und Tests. Ein solcher Galerieraum bietet Gelegenheit zum Austausch mit anderen Künstlern, die den Betreibern des Labors wiederum Anregung bieten zur Auseinandersetzung mit der eigenen Kunst. Die Anregung durch andere Sichtweisen wird hier zum Nährstoff für neue Bildwelten. Da dieses Anliegen eindeutig im Vordergrund stand, wurde der Shop bald abgeschafft, und mittlerweile gelangt man im mittleren Raum zum Archiv, wo man Einsicht erhält in die vergangenen Eigen- und Gästeausstellungen. Hier nahm Gestalt an, was Oliver Sieber sich stets von der Fotografie versprach: „Ich wünschte mir, dass ich eine Aneinanderreihung von vielen Einzelbildern schaffen könnte. Das Sammeln, Aneinanderreihen und Archivieren hat mich als Arbeitsprinzip immer fasziniert.“

Noch eindringlicher zeigt sich die Umsetzung dieses Gedankens im Frau-Böhm-Blog, den man von der Startseite der Böhm aus erreicht. Zusammen mit Hisako Nakagawa luden die beiden ausgewählte Fotografen, Künstler und Freunde ein, auf ein erstes Bild mit einer weiteren Aufnahme zu antworten, die formal oder inhaltlich Bezug nimmt. So erzählen die zu einer Assoziationskette verknüpften Fotografien eine fortlaufende Geschichte ohne Nebenwege oder Sackgassen. Käufer von Heft 28 der Böhm dürfen sich freuen: das (vorläufige) Ergebnis mit annähernd 400 Aufnahmen von gleich bleibend hoher Qualität kann sich sehen lassen.

[…] Nicht nur im Kontakt-Container als digitalem Platzhalter für das virtuelle Künstleratelier vermischen sich der private und der öffentliche Raum. Die Durchdringung und Wechselwirkung von privat und öffentlich werden genauso in den fotografischen Arbeiten der beider Künstler manifest, wie sie im Böhm-Konzept Umsetzung finden. Der reale und virtuelle Kommunikationsfluss, der Dialog mit Fußgängerzonenbesuchern, Fotofans oder Künstlerkollegen bildet das Rückgrat von Katja Stukes und Oliver Siebers Lebens- und Arbeitsentwurf. Der Kommunikationsfluss beginnt beim Künstlerpaar als kleinster kommunikativer Keimzelle, setzt sich fort im Austausch mit Freunden und Kollegen, es folgt die Publikation der Arbeit für ein kleines aber interessiertes Publikum, und zum Schluss wird die ganze Welt in die Kommunikation einbezogen. Mit Vertrauen auf den Multiplikationsfaktor zieht das Künstlerpaar seine Kreise, die sich über den Globus ausweiten und Schnittmengen bilden wie Muster. Sie sind sehr bei sich und bei einander, gleichzeitig aber extrem polyglott und der Außenwelt zugewandt. Vielleicht gelingt dieser Spagat auch, weil ihnen stets das Notwendige zur Verfügung steht – die Kamera und das Archiv, auf das sie an jedem Ort der Welt Zugriff haben.